„Einfach bauen“ schafft Freiraum für Architekten

Ernst Böhm hat für die Forschungshäuser „einfach bauen” den „Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022“ gewonnen. Mit Baukunst spricht er über die Gebäudeklasse „E“, einfaches Bauen und Präfabrikation.

 

Baukunst: Wie bewerten Sie die Initiative der Bayerischen Architektenkammer, eine Gebäudeklasse E für das einfache Bauen einzuführen?

Böhm: Dies ist eine wirklich gute Sache, denn es schafft Freiraum für Architekten, Bauherrn und Innovationen.

Baukunst: Wenn eine solche Gebäudeklasse eingeführt wird – welche Auswirkungen hätte das?

Böhm: In der Tat gibt die Gebäudeklasse „E“ mehr Freiraum. Hier fällt mir immer folgendes Einstein-Zitat ein: „Es ist verrückt die Dinge immer gleich zu machen und dabei auf andere Ergebnisse zu hoffen.“

Baukunst:  Die B&O Gruppe hat für die Forschungshäuser „einfach bauen” den „Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022“ gewonnen. Können Sie noch einmal kurz beschreiben, wie ihre Kooperation mit der TU München Prof. Nagler überhaupt zustande kam, und welche Gedanken Sie bei diesem Projekt geleitet haben?

Böhm: Seit den Projekten Dante I und Dante II, dabei geht es um die Überbauung von Parkplätzen, arbeiten wir gut und eng mit Florian Nagler zusammen. Der wollte die drei Forschungshäuser ursprünglich mit dem Studierendenwerk realisieren. Die Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse waren äußerst langwierig. Ich hatte Florian Nagler angeboten, die Häuser auf dem Parkgelände in Bad Aibling kurzfristig zu realisieren, was wir dann auch getan haben.

Baukunst:  „Einfach Bauen kann man nur mit einfachen Entwürfen”, sagte Prof. Nagler in einem Interview zu den Forschungshäusern. Wie weit soll die Reduktion gehen? Landen wir dann wieder beim Plattenbau?

Böhm: Beim Plattenbau landen wir ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil: Die Prinzipien von „Einfach bauen“ ermöglichen dem Architekten, sich wieder auf seine Kernaufgabe zu konzentrieren: Wie gestalte ich schöne Räume und schöne Bauwerke.

Baukunst: Spüren Sie einen besonderen Forschergeist am Lehrstuhl von Prof. Nagler? Wie würden Sie diesen beschreiben?

Böhm: In der Tat spüre ich einen besonderen Geist am Lehrstuhl von Florian Nagler, denn in der Bauwelt beobachte ich zwei Megatrends: Den einen fasse ich zusammen unter „Smart home“; hier wird versucht, alle Probleme mit Technik zu lösen, der andere Megatrend heißt „Einfach bauen“; hier versucht man sich auf das Wesentliche, die Langlebigkeit und das Robuste zu konzentrieren. Diesen Geist, das „keep it simple“, den spüre ich bei Florian Nagler.

Baukunst: Welche Erkenntnisse und Baudetails haben Sie in ihre aktuelle Fertigung schon übernehmen können?

Böhm: Die drei wesentlichen Kernelemente, die wir identifiziert haben, sind erstens die konsequente Trennung von Gebäude und Technik. Außerdem lässt sich klimatische Trägheit durch Bauteile mit großer thermischer Speichermasse erreichen. Und schließlich machen angemessene Fensterflächen keinen weiteren Sonnenschutz erforderlich. Diese Erkenntnisse haben wir bereits in unsere Typenhäuser übernommen.

Baukunst: Wie haltbar sind die Forschungshäuser? Was würden Sie heute anders machen?

Böhm: Wände aus Holz und Ziegel halten 200 Jahre und länger. Beim Betonhaus weiß ich es nicht, ich denke, dass wir das Betonhaus möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt mit einer Vorhangfassade schützen werden.

Baukunst: Der Lehrstuhl von Prof. Nagler initiiert gerade den dritten Teil von “einfach bauen” als Forschungshäuser in Garching, in denen die Ergebnisse der Forschungshäuser Bad Aibling einfließen sollen. Wie sind Sie hier beteiligt?

Böhm: Die neuen Forschungshäuser in Garching sollen viergeschossig werden, das ist spannend. Gerne wären wir auch beteiligt, aber das Studierendenwerk muss dazu wohl eine europaweite Ausschreibung durchführen.

Baukunst: Für das neueste Forschungsprojekt auf ihrem Gelände sind drei neue Bauarten aus Halbholz und Lehmstein, Vollholz und Stampflehm sowie Holzrahmen und Recyclingziegel geplant. Welche neuen Erkenntnisse haben sich in der Planungsphase denn schon ergeben?

Böhm: Haupterkenntnisse sind: Lehm mag Wasser und Feuchte nicht wirklich. Und die Bodenplatte und die Fundamente beim Forschungshaus II.I sind immer noch überdimensioniert. Wir denken daran, auch hier den Anteil von Zement noch deutlich zu reduzieren.

Baukunst: Welchen Einfluß werden recycelte Baustoffe in Zukunft haben?

Böhm: Bei der Zukunft möchte ich differenzieren zwischen dem Zeitraum der nächsten zehn Jahre und dann vielleicht der ferneren Zukunft, also in etwa 100 Jahren. Für die nächsten zehn Jahre sehe ich den Einsatz von recycelten Baustoffen eher als gering, denn die letzten 50 Jahre waren durch den Einsatz von Verbundbaustoffen gekennzeichnet und diese lassen sich nur relativ schwer recyceln, allenfalls down-cyceln.


„Einfach Bauen kann man nur mit einfachen Entwürfen”

Baukunst: Das Thema “modulares bauen” setzt sich nicht wirklich durch. Woran liegt das?

Böhm: Das modulare Bauen ist im Kommen, ich glaube, dass sich das vor allem im Bürobau durchsetzen wird. Größtes Hindernis ist immer noch der Verlust von Baurecht in Innenstädten.

Baukunst: Präfabrikation verlangt nach einfacher Umsetzung und signifikanten Kosteneinsparungen. Wie lassen sich diese realisieren?

Böhm: Wichtig ist, dass wir nicht ständig Unikate entwerfen und produzieren. Planung und Realisierung sind durchgängig zu digitalisieren; BIM – von cradle zu cradle

Baukunst: Sie produzieren für den Wohnungsbau Holz-Hybridhäuser mit vorgefertigten Fassaden, Innenwänden und Badezimmern. Ein Vorteil ist hier sicherlich, eine gute Qualität auf die Baustelle liefern zu können.  Ist das die Lösung für den derzeitigen Fachkräftemangel?

Böhm: Eine Teillösung des Fachkräftemangels kann sicher durch Erhöhung des Vorfertigungsgrades erreicht werden.

Baukunst: Welche weiteren Bauteile möchten sie von der Baustelle in die Fabrik verlegen?

Böhm: Wir denken insbesondere an Decken, Wände, Dächer und Technikzellen.

Baukunst: Verlagert man bei der Präfabrikation den Planungsaufwand von der Baustelle in die Fabrik?

Böhm: Der Planungsaufwand soll nicht erhöht, sondern reduziert werden, die Arbeit für Bauherrn und Architekten wird sich ändern. In der Fabrik soll keinerlei Planung erfolgen.

Baukunst: Welche Vorteile und Kostenersparnisse bietet die Präfabrikation?

Böhm: Mehr Ausführungssicherheit und bessere Wiederholbarkeit! Vor allem aber eine gewisse Disziplinierung von Bauherren und Architekten. Hierzu gerne ein Beispiel aus der Automobilindustrie: Wenn sie ein Auto bestellen, das sechs Monate Lieferzeit hat, denken sie nicht daran, drei Tage vor Auslieferung noch die Sitzfarbe zu ändern. Beim Bau sind solche Änderungen aber bis zur Abnahme gang und gäbe.

Baukunst: Wieviel Prozent der Kosten lassen sich gegenüber dem herkömmlichen Bau tatsächlich einsparen?

Böhm: Eine Einsparung von Baukosten sehe ich nicht, allerdings sehe ich eine Einsparung bei den Planungskosten und eine Reduzierung der Fehlerkosten durch höhere Qualität.

Baukunst: Werden diese Einsparungen an den Bauherren weitergegeben?

Böhm: Dafür wird ein intensiver Wettbewerb sorgen.

 

Baukunst: Was halten Sie vom 3D-gedruckten Haus und werden wir ein solches auf ihrem Gelände vielleicht einmal sehen?

Böhm: Auch 3D gedruckte Häuser kann ich mir hier auf dem Gelände durchaus vorstellen.

 

Ernst Böhm ist Gründungsgesellschafter der B&O Gruppe. Er übernahm nach Tätigkeiten als Anwalt und im internationalen Projektgeschäft 1993 die Geschäftsführung der Münchner Dach- und Fassadenbaufirma Bihler & Oberneder. 2003 erwarb er zusammen mit drei Geschäftsführerkollegen die Anteilsmehrheit an der Gesellschaft. Die B&O Gruppe hat heute etwa 2.400 Mitarbeiter bei rund 500 Mio.€ Jahresleistung. Mittlerweile hat Ernst Böhm die Verantwortung für das operative Geschäft übergeben und begleitet das Unternehmen als aktiver Aufsichtsrats- und Beiratsvorsitzender.

 

Das Interview führte die Architektin Iris Hannewald 

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